Reflektionen zu meiner Delegationsreise nach Südkorea
Durch die Förderung von AusbildungWeltweit war diese großartige Delegationsreise nach Seoul, Südkorea möglich!
Ziel dieser Anbahnungsreise war es, Seoul, die Hauptstadt Südkoreas, als mögliche Partnerstadt kennenzulernen, die Möglichkeiten für den Schüleraustausch im Bereich PTA zu erkunden und Kontakte mit potentiellen Partnerorganisationen und Schulen zu knüpfen. Die Erwartungen waren groß. Begleitet wurde ich von vier anderen Schulleitungsmitgliedern der Hamburger Berufsschulen und von Janine Frommann, HIBB Koordinatorin für Auslandsmobilitäten. Teil dieser Delegationsreise waren auch drei Schulleitungsmitglieder der Bremer Berufsschulen sowie Nils Peschke von der Schulaufsicht.
Nach unserer ca. 30-stündigen Reise von Hamburg nach Seoul war der erste Programmtag unseres Delegationsbesuches ein echtes Highlight. Bereits am Sonntag, 14.4.2024, um 10 Uhr erwarteten uns Minjung Kim, KoreaPEN CEO, und Son Guan-Ju, Vertriebsleiter vom IT Convergence University Startup Incubation Center, im Hotel. Mit einem bunt-gemischten Programm aus Geschichte, Küche, Kultur und neuen Trends tauchten wir in das Leben in Südkorea ein.
An diesem sonnigen Vormittag besuchten wir den Gyeongbokgung Palast – der „Palast der strahlenden Glückseligkeit.“ Eingebettet in das moderne Stadtviertel Hanyang mit seinen vielen Wolkenkratzern zeigte sich dieser Ort als interessantes Reiseziel, wo Vergangenheit und Gegenwart und Tradition und Moderne nebeneinander existieren.
Seoul wurde von uns allen als sehr sauber und sicher empfunden. Die vielen wunderschön-angelegten Kleinbeetoasen in der Stadt verschönerten den Anblick der Metropole. Trotz der spürbaren Hektik in der 10-Mio Stadt, waren die Menschen sehr höflich und gastfreundlich. Sprachliche Kommunikation mit der heimischen Bevölkerung, sei es auf der Straße, im Restaurant, in der Apotheke oder im Geschäft, erwies sich jedoch mit der Zeit als eine wahre Herausforderung; allerdings kamen Minjung, Son oder Google uns meist zur Hilfe.
Als nächstes besuchten wir die Delight Media Art Exhibition, die „immersive experience, augmented reality and video mapping“ für uns als Ersteller unserer eigenen kreativen Interpretation von urbanem Leben anbot.
Der lange Gang über die hunderte von Treppenstufen hoch zum Seoul Tower, auch Namsan Tower genannt, rundete das Sonntagsprogramm ab. Für uns war das eine sehr schöne aber auch sportliche Erfahrung und zurecht eine der größten Sehenswürdigkeiten der Stadt Seoul. Der Treppen-Fußmarsch lohnte sich auf jeden Fall. Vom höchsten Punkt der Stadt, bot der fast 240 Meter hohe Turm einen wunderschönen Ausblick auf die Stadt.
Während des spannenden und interessanten Tagesablaufes konnten wir viel aus erster Hand über den durchgetakteten Alltag eines Schülers, die wirtschaftliche Entwicklung Südkoreas und die laufenden internationalen Austausche Südkoreas mit anderen ostasiatischen Ländern erfahren. Im Koreakrieg in den 1950er Jahren wurde das Land komplett zerstört und zu einem der ärmsten Länder der Welt. Ab 1962 kam es dann zu einem rapiden Wirtschaftsaufschwung. Das „Wunder am Han-Fluss“ transformierte Südkorea innerhalb weniger Jahrzehnte von einem armen Agrarland zu einem hochmodernen, reichen Industriestaat. Südkorea ist einer der „Tigerstaaten“ und ist Mitglied in mehreren internationalen Wirtschaftsorganisationen. Die hohe Lebensqualität, die kulinarischen Köstlichkeiten, die sehr gut entwickelte Intrastruktur und der offensichtlich sehr hohe technologische Standard der Hauptstadt beeindruckten uns.
Der rasante Aufstieg Südkoreas spiegelt sich in der hohen Leistungsbereitschaft der koreanischen Jugendlichen wider. Viele Jugendliche in Korea verbringen ihre Zeit in der Woche mit Schule, Zusatzunterricht, Nachhilfeunterricht, Sport und E-Sport. Diese Aktivitäten reichen meist bis in die Nacht (22:00 Uhr). Die meisten Aktivitäten werden staatlich organisiert. Der Leistungsdruck dem die Jugendlichen ausgesetzt sind, aber auch der Lerneifer, die Disziplin und die Wissbegierde der Schüler, Studenten und jungen Start-Up Entrepreneurs waren eindrucksvoll für mich. Diese in der koreanischen Kultur verankerten Tugenden sind ein wichtiger Baustein für das ökonomische Wunder Koreas‘, welches das Land innerhalb weniger Jahrzehnte von einem armen Agrarland zu einer der erfolgreichsten Volkswirtschaften der Welt transformiert haben. Koreas außerordentlich hoher Bildungsstand, der erst das explosionsartige Wirtschaftswachstum ermöglicht hat, ist auch bemerkenswert vor dem Hintergrund, dass das koreanische Bildungssystem eher von traditionellen Lernmethoden (Frontalunterricht) geprägt ist.
In ihrer knappen freien Zeit während der Arbeitstage sowie am Wochenende haben die Koreaner eine ausgeprägte Fähigkeit entwickelt, den Moment zu genießen. Viele Firmen bieten eine Vielzahl an Möglichkeiten zur kurzen Entspannung zwischendurch: Ruheräume, Sporträume, Massagesessel und Leseoasen mit wunderbaren Staudenbeten sind omnipräsent.
Sauber, ästhetisch einladend und sehr gut organisiert präsentiert sich Seoul als attraktive Metropole. Aufgrund seines schon jetzt sehr hohen Digitalisierungsgrades und seiner weiteren Ambitionen - Seoul plant ein eigenes Metaverse für sämtliche Bereiche der Stadtverwaltung - ist die Stadt auf einem guten Weg eine Super Smart City zu werden. Es scheint, dass Seoul auf der Überholspur ist.
Am Montag standen für die gemeinsame Delegation aus Hamburg und Bremen zwei Besuche auf der Tagesordnung: am Vormittag ein Besuch beim staatlichen Bildungsamt der Provinz Gyeonggi und am Nachmittag ein Besuch beim privaten Korea Startup Forum.
Beim Treffen mit dem Bildungsamt der Provinz Gyeonggi wurden der Delegation die Strategie zur Stärkung der globalen Fähigkeiten von Schülern an Berufsschulen und Universitäten in der Provinz Gyeonggi vorgestellt und Perspektiven für einen internationalen Austausches. Beide Seiten waren sich darüber einig, wie wichtig es ist, globale Talente mit internationalen Fähigkeiten und Erfahrungen zu fördern, da sich zukünftige Arbeitsplätze schnell ändern und der Wettbewerb aufgrund des technologischen Fortschritts härter wird. Dementsprechend einigten sie sich darauf, Austauschprogramme für Schüler und für Studierende zu fördern. Die Leiterin der Abteilung für Berufsbildung beim Provinzamt für Bildung, Kim Seong-jin, betonte, dass das Provinzamt für Bildung sich bemühen wird, die internationale Zusammenarbeit auszubauen.
Am Nachmittag gab es ein Treffen mit Vertretern des Korean Startup Forum, in dem rund 2.050 koreanische Startups als Mitglieder organisiert sind (https://kstartupforum.org/). Bei dem Treffen wurden Möglichkeiten zum Austausch und zur Zusammenarbeit bei Entrepreneurship-Programmen für koreanische und deutsche Jugendliche und Studenten erörtert.
Am Dienstag haben wir Besuche bei KoreaPEN und AHK durchgeführt. Die Hauptaufgaben und Aktivitäten des Korean Practice Enterprise Network umfassen die Organisation von Praxisunternehmen an Bildungseinrichtungen, die Simulation von Geschäftsumgebungen und Arbeitsprozessen, die Förderung von unternehmerischen Fähigkeiten und beruflichen Kompetenzen sowie die Bereitstellung von Ressourcen und Schulungen für Studierende und junge Fachkräfte.
Die Auslandshandelskammern (AHKs) verfügen über 140 Niederlassungen in 92 Ländern. In Seoul bietet die AHK ein Ausbildungsmodell nach deutschem Vorbild an, welches in Kooperation mit führenden Automobilherstellern wie Mercedes Benz und Porsche durchgeführt wird. Dieses Programm an Colleges zielt darauf ab, High School Schülern eine „duale Ausbildung“ zu bieten, die sowohl theoretische als auch praktische Elemente umfasst. Systemische Ausbildung in der Chemie und Pharmazie Branche gibt es leider nicht. Das Ausbildungsprogramm der AHK in der Automobilindustrie ist ein Beispiel für die Übertragung des deutschen dualen Ausbildungssystems auf andere Länder. Eine enge Kooperation besteht zwischen der AHK und den jeweiligen Ausbildungsbetrieben. Die Colleges scheinen als reiner „Dienstleister“ zu fungieren.
Am Mittwoch hatten wir die Möglichkeit das „National Institute for International Education (NIIED)“ zu besuchen, um auch dort einen Einblick in die Programme und Initiativen im Bildungsbereich zu erhalten. Während unseres Besuchs wurden verschiedene Fragen gestellt, die wichtige Einblicke in die Bildungslandschaft Koreas und die Möglichkeiten für internationale Austauschprogramme boten.
Ein wichtiger Aspekt, der beleuchtet wurde, war die Entwicklung Koreas und seines Bildungssystems. Die Vertreter des „NIIED“ betonten die Bedeutung der Elternbeteiligung und der verbesserten Behandlung der Lehrkräfte für die positive Entwicklung des Bildungswesens. Diese Verbesserungen wurden teilweise durch die gezielte Investition von Steuergeldern in die Bildung ermöglicht.
Weiterhin wurde über die Bedeutung des selbstgesteuerten Lernens und des projektbasierten Lernens gesprochen, wobei betont wurde, dass Deutschland diese Ansätze ebenfalls stark fördert. Es wurde angeregt, sich über Methoden des Lernens auszutauschen und versichert, dass diese Vorschläge direkt an das Bildungsministerium weitergegeben werden.
Beim Besuch der „Dankook University“ am Nachmittag wurden wir zuerst durch das Design Lab der Hochschule geführt. Drei IT- Masterstudierende erläuterten uns ihre Projekte. Danach erörterte uns ein Professor der äußerst renommierten „Hanjun University“ die „National Competency Standards (NCS)“, die dem deutschen DQR zu entsprechen scheinen. Um eine bessere Vergleichbarkeit der Bildungssysteme zu ermöglichen, sei es notwendig, vermehrt Augenmerk auf die einzelnen Kompetenzen der Studierenden zu richten.
Insgesamt boten der Besuch beim „National Institute for International Education“ und der „Dankook University“ einen faszinierenden Einblick in die Bildungslandschaft Koreas und die Möglichkeiten für internationale Zusammenarbeit und Austausch. Es bleibt zu hoffen, dass solche Besuche weiterhin stattfinden, um die Verbindungen zwischen den Bildungssystemen verschiedener Länder zu stärken und das Lernen und Wachstum auf globaler Ebene zu fördern.
Am Donnerstagmorgen wurde die Delegation aus Hamburg und Bremen herzlich vom Leiter des Goethe-Instituts empfangen. Die Vertreter des Instituts gaben eine kurze Einführung in ihre Arbeit und die Aufgaben des Goethe-Instituts, insbesondere im Bereich der Förderung des kulturellen Austausches sowie der deutschen Sprache und Kultur in Korea. In diesem Zuge wurden auch die Kooperationen und Projekte mit koreanischen Schulen und Unternehmen im Bereich der Berufsbildung vorgestellt (z. B. Deutsch an Berufsoberschulen zur Vorbereitung auf Praktika in Deutschland, Berufsschulbrücke).
Am Nachmittag hatten wir die Chance, Vertreterinnen und Vertreter der Seoul Convention High School zu treffen. Zu Beginn erhielten wir eine kurze Einführung in das koreanische Schulsystem. Besonderes Augenmerk lag auf dem Aufbau der unterschiedlichen High School Formen - General vs. Vocational/Specialized High Schools - und den verschiedenen Spezialisierungen, die Schülerinnen und Schüler bei Letzteren wählen können. Die Seoul Convention High School zählt zu den Vocational/Specialized High Schools und bietet ein Bildungsangebot in den folgenden vier Fachbereichen an: Media Sound Department, Bakery Cafe Department, Culinary Arts Department und Department of Tourism and Leisure.
Die Vertreterinnen und Vertreter der High School erläuterten, dass etwa 80% der Absolventinnen und Absolventen sich für ein Studium entscheiden, das ihrem Hauptfach an der High School entspricht. Der Schulabschluss qualifiziert jedoch auch für einen direkten Einstieg in den Arbeitsmarkt, wobei die meisten Schülerinnen und Schüler sich jedoch für eine Weiterqualifizierung durch einen Hochschulabschluss entscheiden. Im Anschluss an die Präsentation und den Austausch bekundete die Delegation aus Hamburg und Bremen ihr Interesse an einem Schüler- und Lehreraustausch mit der Seoul Convention High School. Auch die Vertreterinnen und Vertreter der High School zeigten sich an einer Kooperation sehr interessiert und erklärten, dass sie intern über die Möglichkeiten beraten würden. Abschließend fand ein Rundgang durch die Schule statt, bei dem die Delegation die Fachräume für die Berufspraxis besichtigte.
Am Freitag begann unsere Rückreise; am Samstag, nach etwa 30 Stunden Reisezeit, war ich wieder zu Hause.
Fazit:
Diese Delegationseise war sehr bereichernd und voller Erkenntnisse. Alle Besuche fanden in einem sehr angenehmen, interessierten und wertschätzenden Klima statt. Bei dem Besuch zeigte sich jedoch auch, dass in Südkorea eine schulische Berufsausbildung dem deutschen schulischen Sekundarbereich der Klassenstufen 10-12 zugeordnet ist. Duale Ausbildungsprogramme wie unser PTA-Programm könnten daher nur mit dem Besuch eines koreanischen Hochschulstudienganges verknüpft werden. Dafür bedarf es dann einer systemischen und strukturellen Analyse auf universitärer oder ministerieller Ebene.
Darüber hinaus mussten wir beständig vor Ort feststellen, dass die signifikanten sprachlichen Herausforderungen derzeit nur mit hohem Übersetzungs-/Dolmetschaufwand (Englisch-Koreanisch) zu bewältigen sind.
Auch erscheint derzeit auf deutscher Seite die ausreichende finanzielle Ausstattung eines Schüleraustausches fraglich zu sein.
Seoul war ein sehr spannendes Erlebnis für mich und die KollegInnen, bei dem wir die koreanische Kultur hautnah kennenlernen und viele Einblicke in das koreanische Bildungssystem gewinnen konnten. Aufgrund der vorgenannten Hinderungsgründe, wird ein Schüleraustausch in naher Zukunft leider jedoch nicht möglich sein.
Dr. Stefka Genova-Guhl
(Beauftragte für transnationale Mobilität an der BS 06)